Lob der Faulheit
Vor vielen Jahren, ich hatte gerade mein Ingenieurstudium in Regensburg begonnen, hatten wir einen Lehrer – er unterrichtete uns in Messtechnik, wenn ich mich recht erinnere – der behauptete, dass Faulheit die oberste Tugend des Ingenieurs sei. Das imponierte mir damals natürlich gewaltig. Hatten doch alle meine Lehrerinnen und Lehrer bis dahin versucht mir einzubläuen, dass der Fleiss eine der wichtigsten Tugenden im Leben sei. Das bestätigte mir zuerst mal, dass meine Berufswahl nicht so ganz verkehrt sein könnte. Unser Lehrer begründete seine Behauptung damit, dass die Faulheit des Ingenieurs die Triebfeder sei, um Dinge zu erfinden und zu zu entwickeln, die das Leben einfacher und weniger anstrengend machen…
Kürzlich erst las ich Hans Magnus Enzensbergers Buch über den deutschen Wehrmachtsgeneral Kurt von Hammerstein. Dieser Herr von Hammerstein wird von allen Zeitgenossen als brillanter Offizier, jedoch auch als ein Mensch von ausserordentlicher Faulheit beschrieben. Interessant: wie konnte es jemand, der offenbar faul ist, bis zum damals höchsten Amt in der deutschen Wehrmacht bringen? Ich erinnerte mich wieder an meinen früheren Lehrer. Hammerstein rechtfertigt sich unter Anderem damit, dass seine Faulheit ihm die Zeit und Musse verschafft habe, Klarheit über die wirklich wichtigen Dinge zu erlangen. Er fasst seine Erkenntnis mit den folgenden Worten zusammen:
„Ich unterscheide vier Arten. Es gibt kluge, fleißige, dumme und faule Offiziere. Meist treffen zwei Eigenschaften zusammen. Die einen sind klug und fleißig, die müssen in den Generalstab. Die nächsten sind dumm und faul; sie machen in jeder Armee 90 % aus und sind für Routineaufgaben geeignet. Wer klug ist und gleichzeitig faul, qualifiziert sich für die höchsten Führungsaufgaben, denn er bringt die geistige Klarheit und die Nervenstärke für schwere Entscheidungen mit. Hüten muss man sich vor dem, der gleichzeitig dumm und fleißig ist; dem darf man keine Verantwortung übertragen, denn er wird immer nur Unheil anrichten.“
Diese Einschätzung deckt sich durchaus mit meinen eigenen Erfahrungen. Fleiss an sich ist im Gegensatz zu allgemeinen Auffassungen keine wirkliche Tugend. In Verbindung mit Dummheit produziert er grosse Mengen an Unsinn. In Verbindung mit Klugheit kann der Fleiss durchaus zu brauchbaren Ergebnissen führen. Die Konzentration auf Dringendes, das sofort erledigt sein «muss», verstellt jedoch häufig den Blick auf das wirklich Wesentliche.
Hammerstein’s Erkenntnis geht vermutlich auf die frühere Aussage eines Herrn Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord zurück:
„Klug und fleißig – gibt’s nicht;
klug und faul – bin ich selbst;
dumm und faul – für Repräsentationszwecke noch ganz gut zu gebrauchen;
dumm und fleißig – davor behüte uns der Himmel!“
Die Aussage «klug und fleissig gibt’s nicht» geht noch einen Schritt weiter. Sie impliziert im Prinzip, dass Klugheit und Fleiss sich grundsätzlich ausschliessen. Überspitzt könnte man sagen: «Fleiss ist dumm». So weit würde ich nicht gerade gehen, obwohl darin trotz Allem ein kleines Quäntchen Wahrheit stecken könnte.
Nach meiner Erfahrung reicht eine kluge Idee allein nicht aus. Zur Umsetzung in die Realität braucht es dann meistens doch ein wohl dosiertes Mass an Fleiss. Es gilt mit einem dosierten Mass an Anstrengung (aka Fleiss) ein Maximum an Effekt zu erzielen. Das Ziel ist ein optimaler Wirkungsgrad.