Treue Dienste
Vor langer Zeit – es war in meinen dreissiger Jahren – war ich in einem Ingenieurbüro angestellt, von dem mir, als Anerkennung meiner langjährigen Arbeit für die Firma, eine Verdienstmedaille „Für 10 Jahre Treue Dienste“ verliehen wurde. Eigentlich schön, trotzdem verliess ich die Firma etwa ein Jahr später. Die Medaille verschwand in einer Kiste und war über lange Zeit vergessen…
Irgendwann, bei einer Auf- und Umräum- Aktion kam sie wieder zum Vorschein: „Für 10 Jahre Treue Dienste“. Erinnerung an eine Zeit grundlegender und schmerzhafter Umbrüche.
Treue Dienste – was heisst das? Ich spürte eine Bedeutung, die ich noch nicht konkret formulieren konnte. Die Medaille fand vorerst ihren Platz in einer Vitrine. Ich fing an, immer wieder mal darüber zu reflektieren.
Was war geschehen? Meine damaligen Chefs versuchten mit allem Mitteln (am Rande und teils jenseits der Legalität) die Einführung einer Arbeitnehmervertretung zu verhindern. In diesem Zusammenhang liess ich mich zu Taten und Unterlassungen drängen, für die ich mich heute schäme. Treue Dienste – was bedeutet das in diesem Zusammenhang?
Beide Worte, sowohl „Treue“ als auch „Dienste“ haben viel mit Unterordnung und Gehorsam zu tun. Tugenden, die mir von Kind an beigebracht wurden. Die Eltern, der Pfarrer, der Lehrer, der Polizist waren Autoritäten, denen man unbedingten Gehorsam schuldete. Es war die Zeit der ersten Jahrzehnte nach dem unseligen grossen Krieg in dem die grausamsten Verbrechen im Namen des Gehorsams, der Ausführung von Befehlen, begangen wurden. Einer Zeit, in der ein Adolf Eichmann jegliche Schuld für seinen massgeblichen Beitrag zum organisierten Massenmord von sich weisen konnte, weil er ja nur die Befehle seiner Vorgesetzten ausgeführt habe, sich unterordnete, gehorsam war. Wir haben nur gemacht was uns befohlen wurde, wir konnten nicht anders. Dieser und ähnliche Sätze älterer Zeitgenossen sind mir in lebendiger Erinnerung. Unterordnung und Gehorsam haben offensichtlich auch etwas damit zu tun, dass man die Verantwortung für eigenes Tun und Lassen an eine übergeordnete Instanz delegiert. Wie weit darf man dabei gehen ohne sich selbst zu verleugnen? Wer sind die Autoritäten denen man sich unterzuordnen hat?
Hirschengraben Bern, Tramstation – die Inschrift am Denkmal des Adrian von Bubenberg: „Mein Leib und Gut ist Euer Eigen bis in den Tod“ zeigt wie in der Vergangenheit Gehorsam und Unterordnung bis hin zur Selbstaufgabe als Tugend verherrlicht wurde. Gehorsam und Unterordnung – das Dienen – wurden in der Vergangenheit und werden in letzter Zeit wieder vermehrt als allgemein akzeptierte und nicht hinterfragte Tugenden betrachtet. Angesichts der dabei zwangsläufig abgegebenen Verantwortung für eigenes Tun und Lassen ist das kritisch zu hinterfragen. Damit möchte ich das Dienen nicht generell verurteilen, es ist sicher sinnvoll sich unterzuordnen und nicht immer alle Verantwortung auf sich zu laden. Wachsamkeit ist jedoch geboten. Sollten Aufträge oder Befehle den eigenen Grundsätzen zuwider laufen, ist Ungehorsam erlaubt und im Extremfall sogar zwingend geboten. Die Eigenverantwortung darf in keinem Fall vollständig abgegeben werden.
Zurück zur Medaille „Für Treue Dienste“. Meine damaligen Chefs betrachteten ihre Mitarbeiter offensichtlich als Diener, die ihre Befehle bedingungslos und ohne Widerspruch auszuführen hätten. Dies zeigte sich nicht nur an der Inschrift auf der Medaille und ihrem massiven Widerstand gegen eine angemessene Arbeitnehmer Vertretung. Ich bin dieser Diener nicht – so viel ist mir heute klar. Zunehmende Unstimmigkeiten führten schlussendlich dazu, dass ich die Firma verliess – auch aus heutiger Sicht ein folgerichtiger Entschluss.
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