Kölliken – ein Modell für die Zukunft
In diesem Artikel will ich eine kurzen Einblick in die Geschichte der Sondermülldeponie Kölliken (SMDK) geben und danach aufzeigen, dass diese Geschichte sich im Zusammenhang mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle sehr wahrscheinlich in wesentlich grösserem Umfang wiederholen wird.
Kölliken – die Geschichte
Zunächst O-Ton von der SMDK Website:
Das Konsortium Sondermülldeponie Kölliken wurde Mitte der 70er Jahre für das Erstellen und Betreiben einer Sondermülldeponie gegründet. Insgesamt sind zwischen 1978 bis 1985 300’000 m3 bzw. 475’000 Tonnen Sonderabfälle unterschiedlichster Herkunft und Zusammensetzung in die Deponie eingelagert worden. 1985 wurde die Deponie geschlossen und sie wird seither saniert. Nach der Schliessung der Deponie erarbeitete das Konsortium ein Konzept zur Sicherung und Sanierung der Deponie. Das Hauptaugenmerk gilt dabei dem Schutze der Anwohner vor Emissionen sowie des südlich, im Abstrom der Deponie gelegenen Grundwasserleiter. Dazu sind zahlreiche bauliche Sicherungsmassnahmen getroffen worden. Die aktuelle Zielsetzung ist die Gesamtsanierung (Dekontamination) des gesamten Deponieareals bis im Jahre 2016.Das klingt vorerst ziemlich harmlos. Was ist geschehen? Wikipedia weiss dazu folgendes:
Die SMDK wurde am 16. Mai 1978 in einer alten Tongrube bei Kölliken eröffnet. Die Bedingungen für die Einlagerung von Abfällen war für die damalige Zeit streng, allerdings ohne dass sich die Betreiber der Probleme einer langfristigen Lagerung der Sonderabfälle bewusst waren.Über viele Jahre galt die Anlage, gemäss Expertenmeinungen und Gutachten, als absolut sicher. Den langjährigen und hartnäckigen Protesten der Anwohner, die sich unter Anderem über den lästigen Gestank beklagten, ist es zu verdanken, dass die Deponie und ihre Auswirkungen auf Umwelt und Grundwasser genauer untersucht wurden. Das Ergebnis: Die Deponie ist alles Andere als sicher. Es bestehen erhebliche Gefahren für Menschen und Umwelt. Eine grundlegende Sanierung war unumgänglich. Der Rückbau wurde 2007 begonnen und soll bis 2016 abgeschlossen sein. Die Aktion wird bis dann geschätzte 770 Millionen Franken gekostet haben (Stand 2011). Stellt sich die Frage: Wer bezahlt das? Die Aargauer Zeitung schreibt dazu:
Der Bund wird aus dem Altlastenfonds weitere 170 Millionen Franken beisteuern [..] Dem Konsortium gehören die Kantone Aargau und Zürich (je 41,6 Prozent) sowie die Stadt Zürich und die Basler Chemie (je 8,3 Prozent) an. Als ehemalige Betreiber der Deponie müssen diese vier Partner gemäss ihren Beteiligungen den grössten Teil der Sanierungskosten tragen.Das heisst, die Basler Chemieunternehmen als hauptsächliche Verursacher der Umweltschäden komen gerade mal für 8,3% der Sanierungskosten auf. Den Rest zahlt der Bund, die Kantone Aargau und Zürich sowie die Stadt Zürich!
Kölliken – kein Einzelfall
Eine kurze Recherche im Internet zeigt, dass Kölliken kein Einzelfall ist. Hier einige Beispiele:
Deponie Bonfol JU – Aufräumen in der Hochrisiko Zone
Niemand weiss, welche giftigen Stoffe in der Sondermülldeponie Bonfol lagern. Das macht die Sanierung gefährlich. Eine Explosion gab es schon – weitere sind nicht auszuschliessen.Deponie Feldreben Muttenz BL – Sanierung ohne Einbezug der Öffentlichkeit
Die für die Weitergabe von Informationen vorgesehene Begleitgruppe der Deponiesanierung Feldreben ist kein Thema mehr: Kanton und Chemie ziehen die Vorbereitung der Sanierung im Alleingang durchDeponie Wittelsheim F – Elsässer Zeitbombe tickt weiter
44’000 Tonnen gefährlicher Sondermüll lagert in einer alten Kalimine im elsässischen Wittelsheim bei Mulhouse. Die ehemalige Untertagdeponie bedroht das Grundwasser der ganzen Oberrheinischen Tiefebene.Deponie Heilbronn D – Aus den Augen, aus dem Sinn – Neue Fragen zu Schweizer Giftmüll
20’000 Tonnen Sondermüll exportiert die Schweiz jährlich in eine umstrittene Deponie im deutschen Heilbronn. Nun kommen plötzlich Bedenken zur Sicherheit der Anlage auf. Die umstrittene Sondermülldeponie Heilbronn soll neu auf ihre Sicherheit geprüft werden. Der Entscheid irritiert die Schweizer Behörden.Gemeinsame Muster sind zu erkennen
- Gefährliche Abfälle werden «kostengünstig» entsorgt. Die tatsächlichen Risiken und wahrscheinlichen Folgekosten werden systematisch verschleiert und klein geredet.
- Mit der Entsorgung und der Bezahlung einer meist geringen Gebühr wird das Risiko für Folgeschäden und die daraus folgenden Kosten auf die Betreibergesellschaften der Deponien übertragen. Eine Rückverfolgbarkeit einzelner Abfallfraktionen zu deren Lieferanten ist nicht gegeben. Die Lieferanten der Abfälle und eigentlichen Verursacher der Risiken werden damit weitgehend von ihrer Verantwortung entbunden.
- Die Deponien werden häufig von öffentlichen Körperschaften (Bund, Kantone, Gemeinden usw.) betrieben, d.h. Risiken und Folgekosten gehen zum grössten Teil auf die Allgemeinheit über.
- Private Betreibergesellschaften gehen in Konkurs, wenn die Kosten die Einnahmen der Gesellschaft übersteigen. Dieser Fall tritt zwangsläufig dann ein, wenn kostspielige, nicht budgetierte Sanierungen entstehen. Die Folgen trägt häufig auch hier die Allgemeinheit.
Atommüll – Die Zukunft hat schon begonnen
Die Kernkraftwerke produzieren seit Jahrzehnten Abfälle, deren gefährliche radioaktive Strahlung erst nach mehr als 100’000 Jahren abgeklungen ist. Ausgediente Brennstäbe müssen über mehrere Jahre aktiv gekühlt werden, sonst droht eine unkontrollierte Freisetzung radioaktiven Materials, wie das 2011 in Fukushima geschehen ist. Nach dieser ersten Phase werden die gebrauchten Brennstäbe in Sicherheitsbehälter verpackt und in ein Zwischenlager transportiert. Von dort aus sollen sie dann in ein geologisches Tiefenlager, dem so genannten Endlager gebracht werden. Ein seit vielen Jahren andauernder Forschungs- und Diskussionsprozess über Standorte und Technologie der Endlager hat bis heute zu keinen konkreten Ergebnissen geführt.
NAGRA Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle
In der Schweiz ist die NAGRA für die Sammlung und endgültige Entsorgung radioaktiver Abfälle verantwortlich:
Gemäss Kernenergiegesetz müssen die radioaktiven Abfälle von ihren Verursachern entsorgt werden. Die Betreiber der Kernkraftwerke sowie die Schweizerische Eidgenossenschaft (zuständig für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung) haben für diese Aufgabe 1972 die Nagra gegründet. Sie ist einem klaren Ziel verpflichtet: Die radioaktiven Abfälle der Schweiz sollen sicher gelagert werden, so dass Mensch und Umwelt langfristig geschützt sind. Die Genossenschafter der Nagra sind:> Schweizerische Eidgenossenschaft (vertreten durch das Departement des Innern)
> BKW FMB Energie AG, Bern (Kernkraftwerk Mühleberg)
> Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG, Däniken
> Kernkraftwerk Leibstadt AG, Leibstadt
> Axpo AG, Baden (Kernkraftwerke Beznau I und II)
> Alpiq Suisse SA, Lausanne
> Zwilag Zwischenlager Würenlingen AG, Würenlingen
Wie oben erwähnt, gibt es bis heute weder konkrete Standorte für die geplanten Endlager, noch sind Technologie und Risiken endgültig geklärt. Die NAGRA schreibt dazu:
Wo die beiden Lager gebaut werden, entscheidet sich in einem vorgängig festgelegten, mehrstufigen Auswahlverfahren – dem «Sachplan geologische Tiefenlager». Der Bund leitet dieses Verfahren. Priorität bei der Standortwahl hat die Sicherheit.Viele Experten betrachten das Auswahlverfahren mit kritischen Augen – Schwarzpeter-Spiel mit gezinkten Karten
Die Suche nach einem Atommüll-Lager ist falsch aufgegleist. Zum einen besteht bei den Standorten für hochradioaktive Abfälle keine echte Auswahl. Zum andern werden Endlager dort in Erwägung gezogen, wo spätere Generationen einmal Gas und Kohle gewinnen könnten.Auch im Ausland wird das Thema sehr kontrovers diskutiert – Endlagersuche, die dritte
Der Ausstieg ist beschlossen, aber das strahlende Erbe der Kernenergie bleibt: An diesem Dienstag wollen Bund und Länder den zermürbenden Streit um Gorleben hinter sich lassen – beginnen soll eine neue, einvernehmliche Suche nach einem Endlager. Aber wo soll gesucht werden? Wann gäbe es ein neues Endlager? Antworten auf die wichtigsten Fragen.Die Finanzierung des Rückbaues der Kernkraftwerke und der Entsorgung der radioaktiven Abfälle soll durch einen Fonds sicher gestellt werden, den die Anlagenbetreiber durch regelmässige Einzahlungen äufnen. Die Höhe der Einlagen wird regelmässig neu berechnet:
Grundlage für die Berechnung der Beiträge der AKW-Betreiber bilden laut BfE Kostenstudien, die alle fünf Jahre aufgrund des neusten Wissens- und Technikstands aktualisiert werden müssen. Als Berechnungsgrundlage wird eine Laufzeit der AKW von 50 Jahren angenommen.Eine Berechnung der Kosten für Rückbau und Entsorgung der gefährlichen Abfälle erscheint im Lichte grosser Ungewissheiten und Unwägbarkeiten mehr als gewagt. Hier ein Kommentar aus der NZZ dazu:
Der Anspruch, die Kosten der Endlagerung hochradioaktiven Materials während 100 000 Jahren auf eine Milliarde Franken genau berechnen zu können, erheitert jeden, der nicht auf den Kopf gefallen ist. Die Atomlobby will die Gesellschaft glauben machen, dass sie 50 Jahre nach dem Einlagern der Abfälle ein Tiefenlager, das es noch nicht gibt, verschliessen und vergessen könne.Zurück zu den gemeinsamen Mustern
Die im Zusammenhang mit Sondermüll beschriebenen Muster zeichnen sich auch im Zusammenhang mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle ab:
- Für die Entsorgung der gefährlichen Abfälle gibt es bis heute keine gesellschaftlich akzeptierte Lösung. Die Atom Lobby versucht die Risiken und wahrscheinlichen Folgekosten systematisch zu verschleiern und zu verharmlosen.
- Mit den Einzahlungen in die Entsorgungsfonds sind die Anlagenbetreiber weitgehend von Ihren Verpflichtungen entlastet. Die Kalkulationen für die voraussichtlichen Folgekosten sind aufgrund zahlreicher Unwägbarkeiten mehr als unsicher.
- Über Kurz oder Lang werden die Betreibergesellschaften der Atomanlagen liquidiert sein. Spätestens dann geht die Verantwortung für die langfristige Lagerung und Beaufsichtigung der Abfälle an die Allgemeinheit.
Zusammenfassung
Die Kosten und Risiken für Rückbau der Kernkraftwerke und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle sind schlicht unkalkulierbar. Auf uns und zahlreiche kommende Generationen warten sehr wahrscheinlich riesige Folgekosten, deren Dimension heute nicht annähernd abschätzbar sind – ganz zu schweigen von den Risiken für Menschen und Umwelt.
Betrachtet man die wahrscheinlich zu erwartenden Kosten, so wird offensichtlich, dass das immer wiederholte Mantra von der billigen Kernenergie schlicht eine Lüge ist.
Ein Nachtrag zum Thema Kostenwahrheit: Drei Lügen gegen Ökostrom
Nachträge 30.04.2014:
- New York Times: Chernobyl: Capping a Catastrophe
- Info Sperber: Fukushima: verharmlost und vergessen