Souveränität
Kaum ein vernünftiger Mensch würde einen Vertrag akzeptieren, bei dem die Gegenseite die alleinige Hoheit über dessen Auslegung für sich beansprucht. Genau das ist es aber, was national- konservative Demagogen im Zusammenhang mit internationalen Verträgen verlangen. Verträge ja, aber «Fremde Richter» auf keinen Fall! Demnach sollte die Hoheit über die Auslegung internationaler Verträge einzig und allein bei schweizerischen Institutionen liegen. Es ist kaum zu erwarten, dass ein anderer souveräner Staat bereit ist, diese Bedingung zu akzeptieren. Daran werden auch so genannt harte Verhandlungen wenig ändern. Die Alternative, wenn es zu keiner Einigung kommt: Keine Verträge. Die Schweiz darf ihr Bankgeheimnis behalten, einheimische Banken und Treuhänder dürfen weiterhin Ausländer in Sachen Steuerhinterziehung unterstützen, Gemeinden südlich von Zürich werden weiterhin vom Fluglärm verschont. Im Gegenzug werden beispielsweise Schweizer Unternehmen im Zugang zu anderen Märkten nachhaltig behindert. Von der so verstandenen Souveränität profitieren einige Wenige, die Allgemeinheit trägt die negativen Konsequenzen.
Faire Verträge zwischen souveränen Staaten müssen die Souveränität beider Vertragspartner respektieren. Das heisst unter Anderem auch, dass die Hoheit über die Interpretation der Verträge nicht einseitig bei einem Vertragspartner liegen kann. Kompromisse auf beiden Seiten sind unvermeidbar. Erschreckend ist, dass weder Politiker noch die meisten etablierten Medien sich getrauen diese simple Tatsache deutlich und unmissverständlich auszusprechen. Zaghafte Versuche in Richtung Realität und gesunder Menschenverstand lösen Stürme nationalistischer Reflexe aus. Zahlreiche Leserbriefe und Kommentare in online Medien empfinde ich als alarmierend.