Wider den Gehorsam
Über das gleichnamige Buch von Arno Gruen (Klett-Cotta 2014)
Theodor Fontane:
Es kann die Ehre dieser Welt
Dir keine Ehre geben,
Was dich in Wahrheit hebt und hält,
Muss in dir selber leben
Wenn’s deinem Innersten gebricht
An echtem Stolzes Stütze,
Ob dann die Welt dir Beifall spricht,
Ist all dir wenig nütze.
Das flücht’ge Lob, des Tages Ruhm
Magst du den Eitlen gönnen;
Das aber sei dein Heiligtum:
Vor Dir bestehen können.
Arno Gruen beschäftigt sich in seinem Buch mit den destruktiven Auswirkungen blinden Gehorsams auf einzelne Menschen, genau so wie auf ganze Gesellschaften. Seine Überlegungen sind eng angelehnt an seine früheren Werke ¨Der Fremde in uns¨ und ¨Der Wahnsinn der Normalität¨. Er sieht die Ursache des destruktiven Gehorsams in traditionellen Erziehungsmethoden, deren Ziel es ist, die Persönlichkeit junger Menschen so zu formen, dass sie die Erwartungen ihrerer Eltern bedingungslos erfüllen. Kindern wird es nicht erlaubt, eigene Bedüfnisse, Gefühle und Ideen zu äussern oder gar auszuleben. Ihr Innerstes wird als anmassend und nicht angemessen verurteilt und daher systematisch unterdrückt und ausgerottet. Kinder werden so zu willenlosen Robotern ohne eigene Identität geformt: ¨Der Ursprung des Gehorsams ist also in Prozessen zu suchen, die den Fremden in uns – als Gestalt unseres Hasses und unserer Entfremdung – erzeugen. Mit dem Gehorsam geben wir unsere eigenen Gefühle und Wahrnehmungen auf¨ (S. 45). Statt eine eigene Identität zu entwickeln wird die Identität des Unterdrückers, der äusseren Autorität verinnerlicht. Das kann so weit gehen, dass jegliche Verantwortung für eigenes Handeln an die äussere Autorität deligiert wird. Grausamste Verbrechen können ohne die geringsten Skrupel oder Gewissensbisse begangen werden (Siehe auch Hannah Arendt ¨Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft¨). Dergestalt deformierte Persönlichkeiten geniessen gewöhnlich in unserer Gesellschaft hohes Ansehen: ¨ Die Geschichtsschreibung orientiert sich an Herrschern, Eroberern und mächtigen Feldherren. Die meisten soziologischen und historischen Denksysteme führen deren Verhalten auf innere Grösse, Weitsicht und Souveränität zurück. Das Gegenteil ist – so meine ich – der Fall: Unsere Geschichte dreht sich um die Anpassungsfähigen, also jene, die ihre Wut und ihren eHass auf das Fremde ausserhalb ihres eigenen Selbst richten¨ (S. 70) ¨…der Tyrann hat die, die um ihn um seine Gunst betteln und scharwenzeln, immer vor Augen; sie müssen nicht nur tun, was er will, sie müssen oft, um ihn zufrieden zu stellen, sogar seinen Gedanken zuvor kommen. Es genügt nicht, dass sie ihm gehorsam sind; sie müssen ihm gefällig sein¨ (S. 74). Die letzte Aussage deckt sich mit persönlichen Erfahrungen, die ich unter Anderem in meinem Berufsleben machen musste.
Arno Gruen plädiert zum Schluss eindringlich dafür, den Gehorsam zu überwinden und so zu einer humaneren Gesellschaft aus eigenständigen Individuen zu gelangen: «Mut, Herz, und offenes Denken sind die Kräfte, die den Gehorsam besiegen»