Das Kapital des Staates
Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum
In ihrem Buch «Das Kapital des Staates» widerspricht Mariana Mazzucato der weit verbreiteten Ansicht, dass grosse Innovationen primär von kleinen, dynamischen Unternehmen mit wenigen genialen Köpfen geschaffen und voran getrieben werden; dass sich der Staat in Sachen Innovation bestenfalls auf eine passive Rolle beschränken und die Entwicklung den Märkten und risikobereiten Investoren überlassen solle.
Sie zeigt anhand zahlreicher Beispiele, dass die Grundlagen praktisch aller bahnbrechenden Innovationen der letzten Jahrzehnte aus staatlichen Budgets finanziert wurden. So haben zum Beispiel die grundlegenden Kommunikations- Protokolle der Internets (TCP/IP) ihren Ursprung in Projekten der 1960er und 1970er Jahre, die das Ziel hatten, unzerstörbare Kommunikationsnetze für militärische Zwecke zu errichten. Niemand konnte zu dieser Zeit ahnen, dass diese Forschungen Jahrzehnte später zu einer der revolutionärsten Technologie der jüngeren Geschichte, dem Internet, führen sollte. Zahlreiche weitere Beispiele aus der Computer- Technik, der Nanotechnologie, Biotechnologie usw. zeigen, dass die Ursprünge der meisten bahnbrechenden Technologien der vergangenen Jahrzehnte in staatlich finanzierten Projekten zu finden sind. Dabei wird nicht verschwiegen, dass bei weitem nicht alle Grundlagenforschungen zu kommerziellen Erfolgen führen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Forschungen, deren mögliche praktische Anwendungen in ferner Zukunft liegen, mit hohen Risiken verbunden sind. Private Investoren sind in der Regel nicht bereit, diese Risiken zu tragen. Es zeigt sich, dass so genanntes «Risikokapital» nicht so risikofreudig ist, wie es der Name vermuten lässt. Auf dem Weg von der Grundlagenforschung bis zu kommerziell erfolgreichen Produkten kommt privates Kapital, auch so genanntes Risikokapital, erst dann zum Einsatz, wenn ein wirtschaftlicher Erfolg in naher Zukunft für wahrscheinlich angenommen wird.
Die oben beschriebenen Mechanismen widersprechen radikal gängiger ökonomischer Rhetorik:
«..seit den Gründervätern waren die USA immer zwischen zwei Traditionen hin- und hergerissen, der aktivistischen Politik von Alexander Hamilton (1755– 1804) und Thomas Jeffersons (1743– 1826) Maxime »je weniger die Regierung regiert, desto besser«. Mit der Zeit und dem üblichen amerikanischen Pragmatismus hat man den Wettstreit so gelöst, dass die Jefferson-Anhänger für die Rhetorik zuständig wurden und die Hamilton-Anhänger für die Politik. ERIK REINERT (2007, S. 23)»
Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass zahlreiche revolutionäre Innovationen nicht, wie gemeinhin angenommen, von den so genannt freien Märkten, sondern vielmehr durch intensive und weit vorausschauende staatliche Interventionen auf den Weg gebracht wurden. Die neuen Technologien wurden meist zu einem sehr späten Zeitpunkt ihrer Entwicklungsgeschichte von privaten Unternehmen angeeignet und zu ausserordentlich profitablen Produkten verarbeitet und vermarktet. Die hohen Risiken der frühen Entwicklungsphasen trägt somit die Allgemeinheit, während die häufig extremen Gewinne privatisiert werden. Als typisches Beispiel für die Aneignung vorhandener Technologien und deren weiteren Entwicklung zu kommerziell erfolgreichen Produkten wird der ausserordentliche Erfolg der Firma Apple beschrieben: Ihr Gründer und langjähriger Chef Steve Jobs, so die Legende, habe die erfolgreichen Produkte (iPod, iPhone, iPad usw.) erfunden und erfolgreich vermarktet. Mariana Mazzucato zeigt eindrücklich, dass Apple’s Produkte auf zahlreichen vorhandenen, aus staatlicher Finanzierung hervor gegangenen Technologien (Internet, Mobilfunk, Satelliten Navigation, Display, Touchscreen, Spracherkennung usw.) basieren. Steve Jobs zweifellos grossartige Leistung bestand darin, dass er aus vorhandenen Technologien stimmige Produkte entwickelte und diese mit Hilfe eines äusserst profitablen Geschäftsmodells vermarktet. Die Risiken der Grundlagen Entwicklung bleiben auch hier bei der Allgemeinheit, während die damit gewonnenen Profite privatisiert sind.
In einem weiteren Kapitel wird die Frage erörtert, wie viel von den hohen privaten Gewinnen aus den neuen Technologien wieder an die Allgemeinheit zurück fliessen, bzw. was genau der gesellschaftliche Nutzen der neuen Technologien und der damit erwirtschafteten Gewinne ist. Auch hier wieder das Beispiel Apple: Die Produkte werden ausschliesslich in Asien unter meist prekären Arbeitsbedingungen hergestellt. In den USA, wo die Allgemeinheit einen grossen Teil der langfristigen Risiken getragen hat, wurden nur wenige, meist schlecht bezahlte Arbeitsplätze im Verkauf generiert. Zudem nutzt Apple alle erdenklichen Möglichkeiten die Steuern auf ihre Gewinne zu reduzieren oder ganz zu vermeiden.
In Ihrem Buch plädiert Mariana Mazzucato zum Schluss dafür, dass ein fairer Anteil aus den Gewinnen erfolgreicher Innovationen an die Allgemeinheit zurückfliessen und dort zur Finanzierung neuer innovativer Technologien und der damit verbundenen grossen Risiken verwendet werden soll (z.B. für die so genannte «Grüne Revolution», d.h. die Entwicklung nachhaltig umweltverträglicher Produkte und Prozesse). Private Unternehmen sollen weiterhin von staatlich finanzierten Technologien profitieren, im Gegenzug aber auch einen Beitrag zur Entwicklung zukünftiger Innovationen leisten und sich damit an den damit verbundenen Risiken beteiligen. Die Idealvorstellung wäre ein symbiotisches Ökosystem aus Staat und privater Wirtschaft, in dem die Chancen und Risiken angemessen verteilt sind.
Als ersten Schritt zu diesem Ziel müssen die beschriebenen Mechanismen weiter erforscht und öffentlich bewusst gemacht werden. Die gängige, bezüglich Innovationsprozessen unzutreffende, ökonomische Rhetorik muss an die Realität angeglichen werden!
Mit Mariana Mazzucato’s Buch ist ein grosser Schritt in diese Richtung getan.
Siehe auch: Mehr als das Kapital des Staates